"Erzwingen führt nicht zum Flow"

"Erzwingen führt nicht zum Flow"

An unsere erste Begegnung kann ich mich noch sehr genau erinnern: Ich sass am Schreibtisch, die Tür ging auf und eine freudestrahlende junge Frau trat ins Büro. «Ich bin Ironwoman» sagte Daniela. Natürlich nicht zu mir, sondern zu meinem Kollegen Florian, den sie gut kannte. Das ist inzwischen fast zehn Jahre her und wir beide sind keine Kolleginnen mehr. Unsere Wege kreuzten sich danach allerdings öfter und wir wurden Freundinnen.

Mittlerweile hat Daniela ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und arbeitet als Systemischer Coach und Sport Mental Coach. Über ihre Arbeit haben wir uns schon oft sehr gut unterhalten. Und weil ich mir vorstellen kann, dass das nicht nur mich interessiert, habe ich Daniela ein paar Fragen zu ihrer Arbeit gestellt. Hier kommen ihre Antworten zum Nachlesen. Sie sind vor allem für uns als Mountainbiker hilfreich :)

Wie kann man sich auch als Hobby Sportler Mentaltechniken von Leistungssportlern zu Nutze machen? Ich denke da nicht an Wettkampftraining, sondern daran, wie ich es schaffe eine Trailpassage, die ich schon mehrmals probiert und nicht geschafft habe, nochmals zu fahren. Um sie dann mit der richtigen Einstellung durchzufahren.

Eine meiner Klientinnen zum beruflichen Coaching war eine Mountainbike-Profi Frau, die auch Männern Techniktraining gibt. Sie sprach mir aus dem Herzen als sie sagte, dass ihrer Meinung nach zu oft behauptet wird, eine Passage könnte wegen der falschen inneren Einstellung nicht gefahren werden. In Wirklichkeit, so ihre Beobachtung, ist das oft einfach eine ganz richtige „Stopp-Haltung“ des Kopfs, weil die eigene Technik dafür noch nicht gut genug ist. Wie oft trainiert jemand auf dem Mountainbike? Oft nur jedes zweite bis dritte Wochenende – und es wird dennoch erwartet, dass mit jedem Mal große Fortschritte da sind, das ist unrealistisch. Natürlich gibt es unterschiedliche Charaktere, manche stürzen sich mutig den Berg runter und es klappt. Durch dieses Aha-Erlebnis lernt diese Person, dass es hilft „einfach zu machen“ und sie wird vermutlich auch die nächste Abfahrt mit Mut fahren. Doch diejenigen, die sensibler sind oder schon Unfälle erlebt haben, denen fehlt oft diese kindliche Leichtigkeit. Da ist es wichtig, ihnen technisch Unterstützung zu bieten. So kommen einfühlsame Fahrtechniktrainer ins Spiel. Nur wenn beide unterstützen, dass der Klient sich sicher fühlt, kann Angst abgebaut werden, manchmal braucht es auch einen Neuro Athletic Trainer, etwa wenn der Körper blockiert (Anmerkung: in der nächsten Leistungslust 06/2017 gibt es dazu einen Beitrag von Daniela). Sich einfach nur vorsagen, „morgen kannst du das“, geht nicht, wenn der Kopf weiß, diese Abfahrt ist noch zu schwer für mich. Eine einfache Regel hilft da: probiere mal dir im Kopf vorzustellen, wie du diese Abfahrt fährst. Wenn das noch nicht geht, dann geh einen Schritt zurück und probiere nochmal was Leichteres. Erzwingen und unter Stress abzufahren, führt definitiv nicht zum Flow.  

Wer weiß, dass er es fahrtechnisch eigentlich kann und es sich dennoch aus Angst nicht traut, für den ist ein Emotionen-Coaching relevant.

Daniela Dihsmaier, fotografiert von Daniela Ruppert

Daniela Dihsmaier, fotografiert von Daniela Ruppert

Ich habe den Eindruck, dass heutzutage jeder Hobbysportler für irgendeinen Wettkampf trainiert. Wie erklärst du das?

Dass immer mehr Menschen auf Wettkämpfe trainieren, liegt auch daran, dass es im Leben selten noch so klare Rückmeldungen zur eigenen Leistung gibt. Input und Output können da noch recht transparent gegenüber gestellt werden. Nur wird das anstrengend für das Umfeld, wenn sich diese Person nur noch vergleicht. Ich beobachte das leider immer wieder, dass Menschen sich selbst verlieren und nur noch schauen, was sie womöglich in den Augen der anderen Wert sind. Habe ich die bessere Zeit auf Strava? Den besseren Trail? Das bessere Rad? Den besseren Job? Den tollsten Partner? Das Gefühl für den eigenen Körper, das eigene Wohlbefinden, Natur-Erleben, sich erden und Selbstvertrauen in die eigene Leistung – ohne es sich bei jeder Einheit beweisen zu müssen – sind dazu komplett widersprüchlich. Fehlen diese Elemente gibt es keinen Flow. Sport und jeder Job werden dann zum harten Kampf. Wer will so langfristig leben? Die meisten werden davon krank oder zumindest unzufrieden. Manche erkennen es und kommen dann auch zu mir.

Und wie kann ich mich bei einem Regentag auf einer Mehrtagestour motivieren, durchzuhalten? Oder hat letzteres nichts mit Mentaltechniken zu tun?

Bei einem Regentag auf einer Mehrtagestour dennoch zu fahren, also weiterzufahren, statt aufzugeben oder sich an die Leistungsgrenze bringen zu können, wenn es darauf ankommt, das ist auch vor allem eine mentale Fähigkeit. Da lässt sich viel verändern, wenn jemand daran arbeiten will.

Du bist nicht nur Mental Coach und Unternehmerin, sondern auch erfolgreiche Amateur-Triathletin. Hast du ein Ritual vor Wettkämpfen? Oder eine Lieblingsmentaltechnik für andere Situationen, die bei dir immer funktioniert? Welche ist es?

Alle meine Klienten – auch in Präsentationsseminaren – lieben diese ganz einfache Atemtechnik vor Wettkämpfen. Ich nutze sie für mich auch gerne. Sie heißt: „Atme die 8“. Du stellst dir im Kopf eine acht vor und dann atmest du ein, während du in Gedanken die Acht nach oben fährst und beim Scheitel oben angekommen, atmest du aus- die acht entlang nach unten. Das machst du vier bis fünf Mal und du wirst sehen, es beruhigt dich. Denn wenn wir nervös sind, vergessen wir meist das Wichtigste: das Atmen. Das Ausatmen darf übrigens ruhig länger sein und einen kleinen Fokus bei der Übung bekommen…

Wenn ich von Mentaltechniken höre oder lese erscheinen sie mir in der Regel sinnvoll und einleuchtend. Eine Technik wie z.B. Selbstgesprächsregulation tatsächlich anzuwenden und in meinen Alltag zu integrieren, fällt mir allerdings schwer. Hast du einen Tipp, wie ich es schaffe, eine Technik regelmässig anzuwenden so dass ich sie mit der Zeit verinnerlichen und abrufen kann?

Jetzt sind wir bei den Inhalten meiner Coachings. Solche neuen Verhaltensweisen und Denkhaltungen zu etablieren, braucht Zeit und geht in der Regel mit einem Coach leichter. Dabei handelt es sich um ein Neu-Lernen, also um eine Neu-Verknüpfung von Synapsen. Wir führen alle Selbstgespräche, nur in den seltensten Fällen sind leistungsorientierten Menschen freundlich zu sich selbst. Das baut enormen Druck auf. Und solche festgefahrenen Denkmuster sind also eine bestehende Synapsenverbindung, die es zu durchbrechen gilt. Das Coaching-Vorgehen würde den Rahmen eines Interviews sprengen. Denn zunächst einmal gilt es deine Lebensregeln zu erkennen – zum Beispiel „Ich muss so viel wie möglich schaffen“. Viele Lebensregeln stehen einer tatsächlichen Entfaltung der Leistung im Weg. Beim Ergründen von Lebensregeln wird oft bewusst, wovon die eigene Selbstachtung abhängig ist. Zum Beispiel davon, immer sehr gut zu sein, einen sicheren gut bezahlten Job zu haben, fit und gesund zu sein, erfolgreich zu sein, etc. Bei eher geringer Selbstachtung ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ansprüche hoch und unrealistisch sind, dass wir von uns selbst z.B. mehr erwarten als von anderen. Lebensregeln sind untermauert von Annahmen, Antreibern und Werturteilen.

Wenn du abends sagst „was für ein guter Tag!“ - wie war dein Tag dann?

Mir sind meine Klienten sehr wichtig. Wenn es ihnen gut geht und sie Fortschritte durch das Coaching merken und mir das mitteilen, dann ist das schon mega. Coaching ist jedoch auch sehr anstrengend. Es ist wichtig genau hinzuhören, sensibel für Andeutungen und Zwischenmenschliches zu sein. Da ich sehr individuell arbeite, brauche ich viel Vor- und Nachbereitungszeit. Neue Energie hole ich mir also beim Sport, beim Schreiben oder auch gerne mit einer Selbsthypnose.

Und zum Abschluss: Du hast auch schon Mountainbiker gecoacht – welche Besonderheiten sind dir aufgefallen? Welches sind deine drei wichtigsten Mentaltipps für Mountainbiker?

Ich habe schon mit einigen Mountainbikerinnen zusammen gearbeitet, die alle sehr beeindruckende Frauen waren. Es würde jetzt gegen meine Geheimhaltungspflicht gehen, hier Interna auszuplaudern. Jede von ihnen ist besonders, das genau, macht es jeden Tag so spannend.

Allgemeine Mentaltipps kann man in vielen Magazinen nachlesen. Sie sind meist enttäuschend, weil man sie schon tausend Mal gelesen hat. Ein Coach arbeitet individuell und guckt, was braucht die Person wirklich? So ein Coaching-Werkzeugkoffer ist groß, einiges davon habe ich in den vorigen Antworten schon aufgezeigt.

Vielen Dank für die interessanten Erkenntnisse und Tipps speziell für uns Mountainbiker, liebe Daniela!

Du möchtest mehr über Mental Coaching erfahren? Dann lese Danielas Blog und folge ihr auf Instagram (@freiwasser) und Facebook (@Freiwasser). Daniela Dihsmaier ist mit ihrem Unternehmen Freiwasser selbständig und schreibt ausserdem als freie Autorin für das Trainer-Fachmagazin LEISTUNGSLUST und www.tritime-women.de, ein Triathlon-Magazin für Frauen.

21 Tage frei – neue Ausblicke, neue Perspektiven, neue Wege

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